Artgerechte Pferdehaltung...gibt es das?
Um der Wahrheit die Ehre zu geben: Es gibt keine „artgerechte“ Pferdehaltung in Menschenhand.
Von diesem Begriff können wir uns im ersten Satz eines Artikels schon verabschieden. Wir haben die dafür notwendigen Flächen nicht, ebenso wie wir weder die artgerechte Vergesellschaftung noch artgerechte Fütterung bieten könnten. Diese Hürde ist unüberbrückbar und bringt uns in die unrühmliche Lage, für Pferde das geringste Übel der „Haltung“ zu wählen, also so tiergerecht wie möglich, damit unser Pferd auch wirklich Pferd sein kann.
(Fotos: Academia Liberti)
Die Haltung eines Pferdes in einer Box ist als tierschutzwidrig anzusehen und blanke Tierquälerei. Uns fehlt das Verständnis, dass sie weiterhin straffrei angeboten werden darf.
Teilweise Boxenhaltung
Die wohl verbreitetste Haltungsform ist die nächtliche Boxenhaltung, der übliche Kompromiss der modernen Pferdewirtschaft. Die Pferde verbringen die Tage auf Paddocks und / oder Weideflächen und die Nächte in Boxen. Diese Haltungsform mag für einige Pferde durchaus tiergerecht und in Abwägung der Vor- und Nachteile für das einzelne Tier in Ordnung sein.
Dennoch stellt sie weder eine pferdegerechte Haltungsform dar, noch kann sie als gesund bezeichnet werden. Für psychisch und physisch gesunde Individuen ist sie schnell gesundheitsschädlich. Die Festsetzung eines Pferdes in einer Box für übliche 12 bis 14 Stunden oder länger ist nicht so tiergerecht wie man meinen könnte. Meist ist nicht nur der temporäre Bewegungsmangel und die Langeweile ein Problem, sondern es treten auf Dauer – teils abgeschwächt - die gleichen Gesundheitsprobleme auf wie bei der reinen Boxenhaltung.
Wir müssen uns ernsthaft damit auseinandersetzen, dass ein Pferd in einer solchen Haltungsform nicht reel gesund zu erhalten ist. Pferde in dieser gängigen Haltung verbringen mehr als die Hälfte ihres Lebens eingepfercht auf ungefähr 4 x 4 Metern. Weiterhin muss man sich die tägliche Freilaufsituation genau anschauen. Wir sehen zu oft gestresste und /oder gelangweilte Pferde auf trostlosen, zu kleinen Paddocks, die weder natürliche Anreize bieten noch eine ausreichende Größe für die jeweilige Pferdegruppe vorweisen. In diesem Bereich wird oft reine Haltungskosmetik betrieben.
Bequem ist diese Haltungsform in erster Linie für den Betriebsablauf. Weniger Platzverbrauch, höhere Gewinnspanne und weniger Pferde-Management sind hier ausschlaggebend.
Ausnahmen bestätigen allerdings hier die Regel. Alte, physisch oder psychisch schwache, chronisch oder akut erkrankte Tiere können von dieser Haltungsform wie schon erwähnt durchaus profitieren. Es sollte also immer eine Einzelfallentscheidung bleiben. Wir müssen uns bei der Entscheidung, die wir für unsere Pferde treffen, der sie vollkommen ausgeliefert sind, nur eine einzige wichtige Frage stellen und sie ehrlich beantworten: „Was tut meinem Pferd wirklich gut?“ Daran dürfen wir und die gesamte Pferdewirtschaft gerne noch arbeiten.
Offenstallhaltung
Ein ungestörtes Sozialleben im Sozialverband auf großen, gepflegten Flächen mit Witterungsschutz und einem vielfältigen Nahrungsangebot ist das „gerechteste“, was eine Pferdehaltung in Menschenhand leisten kann. Die Tiere verbringen den Tag und die Nacht in ihrem eigenen Rhythmus, bewegen sich genug, ruhen wenn es für ihren Organismus zuträglich ist und sind allen natürlichen Faktoren ausgesetzt, die zur Gesunderhaltung beitragen. Ständige klimatische Veränderungen gehören ebenso dazu wie eine sich durch natürliche Bedingungen verändernde Bodenbeschaffenheit und ein gesundes, wechselndes Nahrungsangebot entsprechend der Jahreszeiten. Frische Luft, ständiger Bewegungsreiz und natürliche Körperhaltung bei der Nahrungsaufnahme vom Boden, ein nahezu ungebremster, dem Tier entsprechend ausgesuchter Sozialkontakt im Gruppenverband, all das hält den organischen Aufbau eines Pferdes fit und gesund sowie sein psychisches Befinden ausgeglichen.
Dennoch ist Offenstall nicht gleich Offenstall. Leider wird hier oft am falschen Ende gespart oder schlicht durch Unwissen falsch gemanagt. Wir sehen viele schlechte und für Pferde ungesunde und stressbeladene Offenstallhaltungen, die dem Anspruch der Tiere nicht genügen. Falsche Böden, zu wenig Platz, zu wenig Fressplätze (Heuraufen), zu wenig Ruheflächen, falsch angelegte Laufwege etc.pp. Wir begegnen Pferden, die nahezu ständig müde, gereizt und/ oder enorm verängstigt sind, weil der knappe Raum oder auch dessen Einteilung in der Pferdegesellschaft zu aggressivem Verhalten führt, bei dem schwächere Tiere ausweglos das Nachsehen haben. Auch eine Offenstallhaltung muss gut durchgeführt und durchdacht sein, so daß jedem Tier ein harmonisches Leben mit seiner Um- / Mitwelt möglich ist.
Wir freuen uns sehr darüber, dass sich im Bereich der Pferdehaltung weiterhin noch Vieles zum Positiven für die dort lebenden Tiere entwickelt. Wir sind endlich weg von Ständerhaltung oder Anbindehaltung, aber wir sind noch nicht dort angekommen, wo unser Respekt vor der Natur des Pferdes uns hinführen müsste. Da ist noch viel Luft nach oben. Luft, die unsere Pferde brauchen.
BTW: Auch ich kämpfe seit vielen Jahren mit den zur Verfügung stehenden Möglichkeiten der Haltung & Fütterung und bin noch längst nicht dort angekommen, wo ich für das Wohl meiner eigenen Pferde gerne hin möchte. In meinem Fall liegt allerdings nicht die Erkenntnis auf Eis, sondern die Möglichkeit auf dem Markt das Richtige zu finden. Mein Gestaltungsfreiraum ist derzeit noch sehr geschwächt. Ich kann beobachten, dass meine Pferde sich wohl fühlen, aber auch dort ist noch viel „Luft nach oben“. Ich arbeite daran und freue mich jeden Tag darüber, dass immer mehr Menschen genau dasselbe tun...sie arbeiten selbstkritisch daran und verharren nicht im bequemen Status Quo.
Nico